277. Es sollen also, ehrwürdige Brüder, alle Gläubigen bedenken, daß es eine ganz hohe Pflicht und große Würde für sie bedeutet, teilzunehmen am eucharistischen Opfer, und zwar nicht müßigen und gleichgültigen Geistes, der zerstreut anderen Dingen nachgeht, sondern so innerlich und selbsttätig, daß sie aufs engste mit dem Hohenpriester sich verbinden, gemäß dem Worte des Apostels Seid so gesinnt wie Christus Jesus80zusammen mit ihm und durch ihn sollen sie jenes Opfer darbringen und zugleich mit ihm sich selbst aufopfern.
Gewiß ist Christus Priester, aber Priester für uns, nicht für sich, denn er bringt Gabe und Verehrung im Namen der gesamten Menschheit seinem himmlischen Vater dar; er ist auch Opfergabe, aber für uns, da er selbst die Stelle des schuldbeladenen Menschen vertritt. Nun verlangt aber jenes Wort des Apostels: Seid so gesinnt wie Christus Jesus, von allen Christen, daß sie, soweit dies dem Menschen möglich ist, jene Gesinnung in sich erwecken, von der die Seele des göttlichen Erlösers erfüllt war, als er das Opfer seiner selbst vollzog daß sie also demütige Unterordnung des Geistes, Anbetung der höchsten Majestät Gottes, Ehrung, Lobpreis und Danksagung erzeigen. Es verlangt außerdem von ihnen, daß sie in gewissem Sinne sich selbst zur Opfergabe machen, gemäß den Vorschriften des Evangeliums sich selbst verleugnen, gern und freiwillig sich der Buße unterziehen, daß jeder seine Sünden verabscheue und sühne. Es verlangt endlich, daß wir alle mit Christus den mystischen Tod am Kreuze auf uns nehmen, so daß wir den Ausspruch des heiligen Paulus auf uns anwenden können: Mit Christus bin ich ans Kreuz geheftet81
278. Wenn jedoch die Gläubigen am eucharistischen Opfer teilnehmen, so haben sie deshalb nicht auch die priesterliche Vollmacht. Das müßt ihr euren Gläubigen ganz klar vor Augen stellen.
279. Es gibt nämlich Leute, ehrwürdige Brüder, die heute bereits verurteilte Irrtümer streifen82indem sie lehren, im Neuen Testament gebe es nur jenes Priestertum, das sich auf alle Getauften erstrecke; jenes Gebot ferner, womit Jesus Christus beim letzten Abendmahl den Aposteln das zu tun auftrug, was er selbst getan hatte, gehe unmittelbar die gesamte Kirche der Gläubigen an; erst daraus sei dann in der Folge das hierarchische Priestertum entstanden. Somit behaupten sie, das Volk besitze wahre priesterliche Gewalt, der Priester dagegen handle nur kraft des von der Gemeinschaft erhaltenen Auftrages. Daher halten sie das eucharistische Opfer für ein wahres „Mitzelebrieren“ (Conzelebration) und meinen, es sei besser, wenn die Priester zusammen mit dem anwesenden Volk „mitzelebrieren“, als daß sie in Abwesenheit des Volkes das Opfer privat darbringen.
280. Es erübrigt sich auseinanderzusetzen, wie sehr solche verfängliche Irrtümer den Wahrheiten widersprechen, die Wir weiter oben dargelegt haben, als Wir von der Stellung handelten, die der Priester im Mystischen Leibe Christi einnimmt. An folgendes aber glauben Wir erinnern zu müssen: Der Priester handelt nur deshalb an Stelle des Volkes, weil er die Person unseres Herrn Jesus Christus vertritt, insofern dieser das Haupt aller Glieder ist und sich selbst für sie opfert; er tritt folglich an den Altar als Diener Christi, niedriger gestellt als Christus, aber höher als das Volk83Das Volk aber, das unter keiner Rücksicht die Person des göttlichen Erlösers darstellt, noch Mittler ist zwischen sich selbst und Gott, darf in keiner Weise priesterliche Rechte beanspruchen.
281. Das alles ist durch den Glauben gesichert; außerdem aber gilt, daß auch die Gläubigen, jedoch in anderer Weise, die göttliche Opfergabe darbringen.
Dies haben schon eine Reihe Unserer Vorgänger und mehrere Kirchenlehrer ganz klar ausgesprochen. So sagt Innozenz III. unsterblichen Andenkens: „Nicht nur die Priester bringen das Opfer dar, sondern auch die Gläubigen insgesamt; denn was in besonderer Art durch den Dienst der Priester ausgeführt wird, das geschieht allgemein durch die Absicht der Gläubigen“84Von mehreren diesbezüglichen Äußerungen des heiligen Robert Bellarmin soll wenigstens die eine angeführt werden: „Das Opfer“, so sagt er, „wird hauptsächlich in der Person Christi dargebracht. Daher ist jene Darbringung, die auf die Wandlung folgt, eine Art Bezeugung, daß die ganze Kirche in die von Christus vollzogene Darbringung einwilligt und zugleich mit ihm opfert“85
282. Auch die Riten und Gebete des eucharistischen Opfers bringen nicht weniger klar zum Ausdruck, daß die Darbringung des Opfers durch die Priester zusammen mit dem Volke geschieht. So wendet sich nach der Opferung des Brotes und Weines der Diener des Heiligtums zum Volke hin und sagt ausdrücklich: „Betet, Brüder, daß mein und euer Opfer wohlgefällig werde bei Gott, dem allmächtigen Vater“86außerdem werden die Gebete, mit denen die göttliche Opfergabe Gott dargeboten wird, meist in der Mehrzahl gesprochen; mehr als einmal ist darin angedeutet, daß auch das Volk teilnimmt an diesem hochheiligen Opfer, insofern es dasselbe darbringt. So heißt es z. B.: „Für sie bringen wir Dir dar, und sie selbst opfern es Dir . . . So nimm denn, Herr, wir bitten Dich, diese Opfergabe huldvoll an, die wir, Deine Diener und Deine ganze Gemeinde Dir darbringen . . . Wir, Deine Diener, aber auch Dein heiliges Volk . . . bringen Deiner erhabenen Majestät von Deinen Geschenken und Gaben ein reines Opfer dar, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer“87
283. Es ist auch nicht verwunderlich, daß die Christgläubigen zu solcher Würde erhoben sind. Durch das Sakrament der Taufe werden ja die. Christen in einem allgemeinen Sinn Glieder am Mystischen Leibe des Priesters Christus, und durch den ihrer Seele gleichsam eingemeißelten «Taufcharakter »werden sie zur Gottesverehrung bestellt; insofern nehmen sie, ihrem Stande entsprechend, am Priestertum Christi selbst teil.
284. In der katholischen Kirche hat zu jeder Zeit die vom Glauben erleuchtete Vernunft sich bemüht, nach Möglichkeit zu einem größeren Verständnis der göttlichen Dinge zu gelangen. So ist es natürlich, daß auch das christliche Volk ehrfürchtig zu begreifen sucht, in welchem Sinn die Canonworte des eucharistischen Opfers zu verstehen seien, es bringe selber auch das Opfer dar. Um diesem frommen Verlangen Genüge zu tun, wollen Wir die Frage hier kurz und klar erläutern.
Zunächst sind es Gründe, die dem Wesen der Sache ferner liegen, insofern es nämlich nicht selten vorkommt, daß die Gläubigen bei der Teilnahme an der heiligen Feier ihre Gebete mit denen des Priesters abwechselnd sprechen; sodann bringen die Gläubigen manchmal - und das geschah in früheren Zeiten häufiger - den Dienern des Altares Brot und Wein, damit sie zum Leib und Blut Christi werden; endlich weil sie Almosen geben, damit der Priester das göttliche Opfer für sie darbringe.
285. Es besteht aber auch ein innerer Grund, weshalb man von allen Christen, besonders von denen, die am Meßopfer teilnehmen, sagen kann, daß sie das Opfer darbringen.
Damit in dieser wichtigen Frage nicht ein verhängnisvoller Irrtum entstehe, müssen Wir den Ausdruck „Darbringung des Opfers“ in seiner eigentlichen Bedeutung genau abgrenzen. Die unblutige Hinopferung, wobei kraft der Wandlungsworte Christus im Zustand des Opferlammes auf dem Altare gegenwärtig wird, ist das Werk des Priesters allein, insofern er die Person Christi vertritt, nicht aber insofern er die Person der Gläubigen darstellt. Dadurch aber, daß der Priester das göttliche Opferlamm auf den Altar legt, bringt er es Gott dem Vater als Opfergabe dar zur Ehre der Heiligsten Dreifaltigkeit und zum Wohl der ganzen Kirche. An dieser Opferdarbringung im strengen Sinne nehmen die Gläubigen auf ihre Art und in zweifacher Hinsicht teil: sie bringen nämlich das Opfer dar, nicht nur durch die Hände des Priesters, sondern gewissermaßen zusammen mit ihm; durch diese Teilnahme wird auch die Darbringung des Volkes in den liturgischen Kult selbst einbezogen.
286. Daß die Gläubigen das Opfer durch die Hände des Priesters darbringen, geht aus folgendem hervor: Der Diener des Altares vertritt die Person Christi als Haupt, das im Namen aller Glieder opfert; deshalb kann man auch mit Recht sagen, die gesamte Kirche vollziehe durch Christus die Darbringung der Opfergabe. Die Behauptung aber, das Volk bringe zugleich mit dem Priester das Opfer dar, hat nicht etwa den Sinn, als ob die Glieder der Kirche ebenso wie der Priester selbst die sichtbare liturgische Handlung vollzögen, denn das ist ausschließlich Aufgabe des von Gott dazu berufenen Dieners; das bedeutet vielmehr, daß das Volk seine Gesinnungen des Lobes, der Bitte, der Sühne und der Danksagung mit den Gesinnungen oder der inneren Meinung des Priesters, ja des Hohenpriesters selbst, zu dem Zwecke vereinigt, daß sie in der eigentlichen Opferdarbringung auch durch den äußeren Ritus des Priesters Gott dem Vater entboten werden. Der äußere Opferritus muß nämlich seiner Natur nach den inneren Kult zum Ausdruck bringen: Das Opfer des Neuen Bundes stellt aber jene höchste Huldigung dar, in welcher der hauptsächlich Darbringende, nämlich Christus, und zusammen mit ihm sowie durch ihn alle seine mystischen Glieder Gott verherrlichen durch den ihm gebührenden Ehrenerweis.
287. Mit großer Freude haben Wir vernommen, daß diese Lehre zumal in der neuesten Zeit durch zahlreiche eifrige Studien auf dem Gebiet der Liturgie in das gebührende Licht gestellt wurde. Wir können aber nicht umhin, die Überspitzungen und Verzerrungen der Wahrheit, die mit den echten Weisungen der Kirche nicht übereinstimmen, sehr zu beklagen.
Manche verwerfen nämlich kurzerhand die heiligen Messen, die privat und ohne Anwesenheit des Volkes gelesen werden, als ob sie von der ursprünglichen Opferpraxis abwichen. Es fehlt auch nicht an Leuten, die behaupten, es dürften nicht Priester gleichzeitig an mehreren Altären das heilige Opfer feiern, weil sie damit die Gemeinschaft lockerten und deren Einheit in Gefahr brächten. Man stellt sogar die überspitzte Behauptung auf, das Volk müsse das Opfer bestätigen und genehmigen, um ihm Geltung und Wirksamkeit zu verleihen.
288. Zu Unrecht beruft man sich dabei auf den sozialen Charakter des eucharistischen Opfers. Sooft nämlich der Priester das erneuert, was der göttliche Erlöser beim letzten Mahle tat, wird in Wahrheit das heilige Opfer vollzogen; dieses Opfer hat aber immer und überall und zwar notwendigerweise und vermöge seines Wesens einen öffentlichen und sozialen Charakter; denn derjenige, der es darbringt, handelt im Namen Christi und der Gläubigen, deren Haupt der göttliche Erlöser ist, und er bringt es Gott dar für die heilige katholische Kirche sowie für die Lebenden und die Verstorbenen88Das geschieht aber zweifellos, ob nun Gläubige anwesend - und Wir wünschen und empfehlen, daß sie in großer Zahl und Andacht beiwohnen -, oder ob keine da sind; denn es ist keineswegs erforderlich, daß das Volk bestätige, was der Diener des Heiligtums vollzieht.
289. Wenn sich nun auch aus dem eben Gesagten klar ergibt, daß das eucharistische Opfer im Namen Christi und der Kirche dargebracht wird, und daß es auch seiner sozialen Früchte nicht verlustig geht, selbst wenn es ohne Altardiener vom Priester gefeiert würde, so wollen und betonen Wir dennoch - was übrigens die Mutter Kirche immer vorgeschrieben hat -, daß kein Priester an den Altar trete ohne einen Ministranten, der ihm diene und antworte, gemäß Canon 813.