terça-feira, 8 de fevereiro de 2011

Dialog setzt Bekenntnis voraus Aufbruch oder Abbruch? – Eine Stellungnahme zum Theologen-Memorandum „Kirche 2011“. Von Manfred Hauke

 Am 3. Februar veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ ein von 143 Theologen unterzeichnetes Memorandum unter dem Titel „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Die darin enthaltenen Forderungen erinnern in Vielem an die sogenannte „Kölner Erklärung“ aus dem Jahre 1989 und das „Kirchenvolksbegehren“ von 1995. Die am meisten vertretene Katholisch-Theologische Fakultät ist die von Münster mit siebzehn Theologen, darunter dem Dekan Klaus Müller; eine Theologin aus Münster gehört zum Redaktionsteam des Memorandums (vgl. M. Drobinski, „Theologen gegen den Zölibat“, Süddeutsche Zeitung, 3.2.). Für den Ursprung in Münster spricht auch die sehr spezielle Forderung nach dem „Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit“ (Klaus Lüdicke). Nennen wir den Text darum zur besseren Unterscheidung die „Münsteraner Erklärung“.
Als Anlass für die Münsteraner Erklärung nennen ihre Unterzeichner die öffentliche Debatte über den sexuellen Missbrauch im vergangenen Jahr. Bei der Suche nach den „Ursachen von Missbrauch, Verschweigen und Doppelmoral“ sei „die Einsicht gewachsen, dass tiefgreifende Reformen notwendig sind“. Der Aufruf der Bischöfe zum „Dialog“ habe Erwartungen geweckt, die man nun aufgreifen solle. Die Theologen wollen 2011 zu einem „Jahr des Aufbruchs“ machen, damit die Kirche „aus verknöcherten Strukturen“ auszieht. Der „offene Dialog“ soll sechs „Handlungsfelder“ umfassen: (1) Es brauche „mehr synodale Strukturen“ auf allen Ebenen der Kirche nach dem Prinzip „Was alle angeht, soll von allen entschieden werden“. (2) Das Gemeindeleben benötige demokratischere Strukturen für die Leitung. „Die Kirche braucht auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt“. (3) Ein erster Schritt für eine bessere „Rechtskultur“ sei „der Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit“. (4) Unter dem Stichwort „Gewissensfreiheit“ heißt es: „Die kirchliche Hochschätzung der Ehe ... gebietet es nicht, Menschen auszuschließen, die Liebe, Treue und gegenseitige Sorge in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder als wiederverheiratete Geschiedene verantwortlich leben“. (5) Im Geist der „Versöhnung“ wendet man sich gegen „eine rigorose Moral ohne Barmherzigkeit“. (6) Die Liturgie lebe von der aktiven Teilnahme aller Gläubigen und dürfe nicht zentralistisch vereinheitlicht werden. Den Unterzeichnern der Münsteraner Erklärung wird man darin Recht geben müssen, dass die Kirche (im deutschen Sprachraum) eine „tiefe Krise“ durchlebt. Allerdings sind viele von den Theologen formulierte Gehalte selbst ein Teil dieser Krise und fördern keineswegs deren Überwindung.
Die erhobenen Forderungen sind zu einem guten Teil Ladenhüter aus den 60er und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Darüber hinaus geht freilich noch der Einsatz für die gelebte Praxis der Homosexualität. Die öffentliche Debatte über den Missbrauch wird instrumentalisiert, um eine geschwächte Kirche zu einem Zustand zu führen, der sich von ihrem apostolischen Ursprung verabschiedet und sich den liberalen Strömungen im Protestantismus annähert. Nach den einschlägigen Statistiken ist der (sehr bedauerliche) Prozentsatz des sexuellen Missbrauchs im katholischen Klerus viel geringer als in vergleichbaren Strukturen des weltlichen Bereiches und sogar der (meist verheirateten) evangelischen Pfarrer (vgl. J.M. Schwarz, „Kirche, Zölibat und Kindesmissbrauch“, kath.net, 3.2.2010).

Ein Verlust von Glaube und Moral

Die Theologen der Münsteraner Erklärung betreiben „Missbrauch mit dem Missbrauch“, um Forderungen durchzusetzen, die ganz sicher nicht die Ursachen bekämpfen, die dem Missbrauch zugrunde liegen. Dass zu einem neuen Aufbruch ein innigeres Bemühen um die Keuschheit gehören müsste, wird in dem Memorandum nicht gesagt. Auch von der Notwendigkeit einer Bekehrung ist nicht die Rede. Im Gegenteil: Man setzt sich ein für die kirchliche Anerkennung der wiederheirateten Geschiedenen, die nach dem Worte Jesu im Zustand des Ehebruchs leben (vgl. Mk 10, 11f par.), und sogar der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, deren sexuelle Praxis nach den Lasterkatalogen des Neuen Testaments zum Ausschluss vom Reiche Gottes führt (vgl. 1 Kor 6, 10 etc.). Hiermit zeigt sich nicht etwa die höhere Weihe neuer akademischer Einsichten, sondern ein Verlust von Glaube und Moral, der Grunddaten der apostolischen Lehre dem Zeitgeistsurfing opfert. Die Forderung nach Aufhebung des Zölibates erinnert an längst verstaubte Forderungen der späten Aufklärung, wie sie von Johann Adam Möhler und anderen Protagonisten des katholischen Aufbruchs im 19. Jahrhundert überwunden wurden. Aber selbst den Aufklärern der josefinisch gesinnten Staatskirchen wäre es wohl nicht eingefallen, die Werte der christlichen Ehe zur Disposition zu stellen und die Konkubinate Homosexueller zu fördern.
Gegen den apostolischen Ursprung der Kirche richtet sich auch die Forderung nach „Frauen im kirchlichen Amt“, wenn mit „Amt“ hier (wie es scheint) das Weihesakrament zu verstehen ist. Erinnert sei hier nur an das Apostolische Schreiben Johannes Pauls II. „Ordinatio Sacerdotalis“ (1994), worin betont wird, „dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben“. Was für „alle Gläubigen der Kirche“ gesagt wird, gilt sicherlich erst recht für Theologen, die über eine kirchliche „missio canonica“ verfügen.
Werfen wir einen kurzen Blick auf einige weitere Forderungen, ohne dabei an dieser Stelle eine ausführliche Entgegnung vornehmen zu können. Eine „Beteiligung“ aller Gläubigen am Leben der Kirche ist zweifellos wichtig, aber diese Anteilnahme ist nicht gleichzusetzen mit den politischen Formen der Demokratie. Die Kirche wird gemäß der apostolischen Nachfolge geleitet von Papst und Bischöfen. In der alten Kirche nahm in der Regel auch das gläubige Volk durch sein Zeugnis und seine Zustimmung an den Bischofswahlen teil: diese Gläubigen waren freilich gestählt durch das Zeugnis der Märtyrer zur Zeit der Christenverfolgungen; das war keine Situation, wo 90 Prozent der Taufschein-Katholiken die Sonntagsmesse versäumen und am Gängelband der glaubensfernen Massenmedien hängen. Aber auch in der alten Kirche waren die Bischofswahlen keineswegs Entscheidungen des Volkes. Nach Papst Leo musste der Bischof vom Klerus gewählt, vom Volk erbeten und von den Bischöfen der Provinz mit Zustimmung des Metropoliten geweiht werden. Das oben angeführte Rechtsprinzip stammt ursprünglich aus dem römischen Privatrecht und wurde 1958 von Yves Congar auf die Bedeutung der Rezeption in der Kirche gedeutet, nicht aber als Demokratisierung des Lehramtes oder der Leitungsgewalt („Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet“); die Zustimmung des Gottesvolkes als „Entscheidung“ zu deuten oder als Grundlage für „mehr synodale Strukturen“ zu gebrauchen, ist Zeichen einer geschichtsfernen Ideologisierung.
Was über die Problematik von „XXL-Pfarreien“ gesagt wird, trifft eine leidvolle Wirklichkeit. Die Lösung der Schwierigkeiten liegt freilich nicht darin, die von Christus stammenden Strukturen der Kirche zu ändern (wie die männliche Bindung des Weihepriestertums und dessen spezifische Leitungsverantwortung). Für die rechte Organisation des Gemeindelebens braucht es pastorale Klugheit und das Engagement aller, nicht aber eine Laisierung der Gemeindeleitung.

Lehren die Unterzeichner noch im Namen der Kirche

Die von der Münsteraner Erklärung proklamierte „Gewissensfreiheit“ löst offensichtlich das subjektive Gewissen von der objektiven Wahrheit, an der sich das Gewissen auszurichten hat. Anders wird man kaum die Forderungen deuten können, Homo-Konkubinate und Ehebruch anzuerkennen. Das Gewissen als Ausrichtung auf die von Gott gegebene Wahrheit wird hier, so würde Newman sagen, zu einem autonomen „Recht auf Eigenwillen“ (Werke IV, 164).
Die unter dem Stichwort „Versöhnung“ geforderte „Barmherzigkeit“ in der Moral lässt sich nicht abkoppeln von der Erfüllung der göttlichen Gebote: Gott vergibt die aufrichtig bereute und bekannte Sünde, gibt aber auch zu verstehen (wie Jesus gegenüber der Ehebrecherin): „Von nun an sündige nicht mehr!“ (Joh 8, 11).
Das von der Münsteraner Erklärung geforderte Einbringen von „Erfahrungen und Ausdrucksformen der Gegenwart“ in der Liturgie hat bereits seinen angemessenen Ort etwa in den Fürbitten oder der Predigt. Die Aufnahme von „konkreten Lebenssituationen“ darf aber keineswegs die Bedeutung der Liturgie verdecken als Verherrlichung Gottes in Verbindung mit der ganzen Kirche, die dafür verbindliche Formen vorsieht.
Zu begrüßen ist zweifellos ein „Dialog“ innerhalb der Kirche. Allerdings sollte dabei klar sein, dass eine legitime Diskussion unter katholischen Christen das gemeinsame Bekenntnis zum katholischen Glauben voraussetzt. Diese Gemeinsamkeit ist durch verschiedene Punkte in der Münsteraner Erklärung in Frage gestellt. Könnten die Unterzeichner der Münsteraner Erklärung ehrlicherweise die „Professio fidei“ sprechen, die Voraussetzung dafür ist, im Namen der Kirche lehren? Werden die zuständigen Bischöfe den Mut haben, gegenüber den auf den Wogen des Zeitgeistes surfenden Theologen auf der Kirchlichkeit der Theologie zu bestehen?
Der kommende Besuch des Heiligen Vaters in Deutschland ist eine große Chance für einen neuen Aufbruch im katholischen Glauben. Das Memorandum der 143 Theologen stimmt freilich traurig: Es ist kein Beitrag zu einem zukunftsfrischen Aufbruch, sondern ein Abbruch, der den Glaubensschatz der Kirche in Frage stellt.

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