In der Basilika von Aquileia traf der Papst im Anschluss mit Vertretern der 15 Diözesen der Region zu einer Vesperfeier zusammen, darunter den Organisatoren des fürs kommende Jahr geplanten Zweiten Kirchentages von Nordostitalien 2012: „Secondo Convegno delle Chiese del Triveneto - Aquileia 2012“. Die prachtvolle romanische Kirche aus dem 11. Jahrhundert ist berühmt für ihre Mosaiken aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert, die größten zusammenhängenden aus frühchristlicher Zeit. Bei der Vesper mit dabei war der Patriarch von Venedig, Kardinal Angelo Scola, sowie der Erzbischof von Gorizia, Dino De Antoni, und der Erzbischof von Padua, Antonio Mattiazzo.
In seiner Predigt ermutigte der Papst die italienischen Kirchen dazu, im modernen Italien aktiv zur moralischen und politischen Bildung beizutragen: Es brauche eine „neue Generation von Männern und Frauen, die dazu in Lage sind, direkte Verantwortung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu übernehmen, insbesondere im politischen Bereich“, so der Papst:
„Dieser Bereich braucht mehr denn je Menschen, insbesondere junge Menschen, die ein gutes Leben zum Wohl und im Dienst aller aufbauen können. Dieses Einsatzes dürfen sich Christen in der Tat nicht entziehen (…).“
Weiter gehörten zur Mission der Kirche die karitative Arbeit – also die Unterstützung von Bedürftigen, Armen und Kranken, sowie die Stärkung der Jugend und insbesondere der Familie, die in Italien angesichts zerrütteter Ehen immer mehr in die Krise gerate. Benedikt XVI.:
„Habt Sorge darum, die Familie ins Zentrum eurer Aufmerksamkeit zu setzen, die Wiege der Liebe und des Lebens und Grundzelle der Gesellschaft und Kirchengemeinschaft. Dieser pastorale Einsatz wird angesichts der immer verbreiteteren Krise des Ehelebens und der sinkenden Geburtenrate immer dringlicher.“
Der für das kommende Jahr geplante Zweite Nordostitalienische Kirchentag sei eine Einladung dazu, „die aktuell tiefgreifenden Veränderungen mit den Augen des Glaubens zu lesen“, so der Papst, ebenso „die neuen Herausforderungen“ der so genannten Neuevangelisierung - will heißen der Frage, wie der Glaube in europäischen Ländern katholischer Tradition aufgefrischt und gestärkt werden kann.
„Schützt, stärkt, lebt dieses kostbare Erbe“, so Benedikts Appell an die norditalienischen Gläubigen, „ja verteidigt es eifersüchtig!“, fuhr er fort: Mit Blick auf die kulturelle und religiöse Vielfalt der Region, die „in Europa Kreuzungspunkt zwischen Ost und West, Nord und Süd“ sei sowie durch Migration und Tourismus gekennzeichnet sei, gelte es die christliche Identität „direkt und ehrlich“ zu zeigen, ermutigte der Papst.
Auf die Früchte des christlichen Erbes in der italienischen Gesellschaft ging der Papst dann auch explizit ein. So sei der Nordosten Italiens „Zeuge und Erbe einer reichen Geschichte des Glaubens, der Kultur und der Kunst, deren Spuren auch in der heutigen säkularisierten Gesellschaft gut sichtbar“ seien – zum Beispiel in der Liebenswürdigkeit, Emsigkeit und Hartnäckigkeit der Italiener, die sich auch in Barmherzigkeit und Solidarität zeigten:
„Trotz des verbreiteten Materialismus gibt es klare Zeichen einer Öffnung zur transzendenten Dimension hin“, so der Papst, „es gibt einen grundlegenden Sinn der Religiosität, den fast die Gesamtheit der Bevölkerung teilt. Dazu zählt auch die Erneuerung christlicher Initiation, die vielfältigen Ausdrucksformen des Glaubens, der Barmherzigkeit und der Kultur, die Volksreligiosität, der Sinn für Solidarität und das Ehrenamt.“
Angesichts der „oft übertriebenen Suche nach wirtschaftlichem Wohlstand“ in einer Zeit der „wirtschaftlichen und finanziellen Krise“ müssten Subjektivismus und Materialismus überwunden werden, so der Papst weiter. Es gelte eine menschlichere, gerechtere und solidarischere Gesellschaft aufzubauen, die im Dienste des Gemeinwohls stehen müsse.
Papst in Aquileia: „Historisches Zentrum einer mutigen Kirche – auch heute Vorbild“
Erste Station des zweitägigen Pastoralbesuches von Benedikt XVI. war am Samstagnachmittag die nordostitalienische Provinzstadt Aquileia. Heute leben dort nicht einmal 4.000 Einwohner, im Mittelalter war Aquileia dagegen Zentrum einer der größten Diözesen Europas. Um kurz nach 16.00 Uhr landete der Papst am Flughafen Triest-Ronchi dei Legionari, von wo aus er im Auto in die alte Patriarchenstadt fuhr. In Empfang genommen wurde er bereits am Flughafen vom Patriarchen von Venedig, Kardinal Angelo Scola, den Erzbischöfen von Gorizia und Udine, Dino De Antoni und Andrea Bruno Mazzocato, sowie weiteren Würdenträgern.
Applaus und Gesang ertönten, als der Papst bei strahlendem Wetter im Papamobil auf die übervolle Piazza del Capitolo in Aquileia einfuhr und vorne auf einem Stuhl mit hoher Lehne Platz nahm, direkt vor den antiken Mauern der Basilika, einem eleganten Bau aus dem 11. Jahrhundert. Nach den Grußworten des Bürgermeisters, Alviano Scarel, würdigte der Papst in seiner im Stehen verlesenen Begrüßungsansprache Aquileia als historisches Zentrum einer lebendigen und mutigen Kirche, die auch heute Vorbild sein könne:
„Die Größe von Aquileia liegt nicht nur darin, dass diese Stadt die neuntgrößte des Imperiums und die viertgrößte Italiens war, sondern in ihrer lebendigen und vorbildlichen Kirche, die zu einer authentischen Verkündigung des Evangeliums fähig war, das sie mutig in den umliegenden Regionen verbreitete und das sie für Jahrhunderte bewahrte und nährte. Deshalb erweise ich dieser gesegneten Erde die Ehre, die vom Blut zahlreicher Märtyrer getränkt und vom Opfer vieler Glaubenszeugen gezeichnet ist. Ich bitte die Heiligen Märtyrer von Aquileia darum, auch heute in der Kirche mutige und treue Jünger Christi zu erwecken, die sich nur zu Ihm bekennen und deshalb überzeugt und überzeugend sind.“
Nachdem Kaiser Konstantin den Christen im vierten Jahrhundert Religionsfreiheit gewährte, konnte sich Aquileia im Laufe des fünften Jahrhunderts zu einem wichtigen Zentrum der Kirche entwickeln. Wie ein „schlagendes Herz“ pumpte das Glaubenszentrum missionarisches Blut bis weit in Norden hinauf, bis ins heutige Österreich, Bayern, Tirol und Slowenien. Auch einige Kirchen im heutigen Kroatien und Ungarn gehen auf die von Aquileia ausgehende Mission zurück. Unter den geistlichen Führern, die dazu beigetragen haben, nannte der Papst den heiligen Chromatius und Bischof von Aquileia. Er wandte sich auf dem Konzil von Aquileia im Jahr 381 gegen die Lehren des Arianismus, dessen Anhänger die Gottheit Christi leugneten. Möge die Glaubensstärke eurer Glaubensväter euch im eigenen Glauben bestärken, so die Botschaft Benedikt XVI. an seine Zuhörer, möge sie euch Beispiel der Einheit und Völkerverständigung sein:
„Entdeckt in dieser Stunde der Geschichte wieder diese grundlegende Wahrheit, verteidigt sie und bekundet sie mit geistlicher Wärme. Denn nur durch Christus erhält die Menschheit Hoffnung und eine Zukunft, nur durch ihn kann sie die Bedeutung und Stärke der Vergebung begreifen, der Gerechtigkeit und des Friedens. Haltet den Glauben und die Werke eurer Herkunft mit Mut immer lebendig!“
Das nur 30 Kilometer von der slowenischen Grenze entfernte Aquileia liegt heute in der zweisprachigen Erzdiözese Gorizia. Dementsprechend richtete der Papst seine Grüße in verschiedenen Sprachen an die versammelten Gläubigen: auf Slowenisch, Kroatisch und Deutsch:
„Von Herzen grüße ich die Gläubigen deutscher Sprache. Aus den angestammten christlichen Wurzeln eurer Heimat mögen in euren Gemeinden weiterhin reiche Früchte hervorgehen. Gott segne euch!“
In seinen Grüßen an die kroatischen Gläubigen erinnerte der Papst an seine nächste Pastoralreise nach Kroatien Anfang Juni. Anschließend spendete er den Gläubigen auf der Piazza den apostolischen Segen.